Buchtipps für junge LeserInnen ab 12 Jahren

Arbeitsalltag Bundeskanzlerin

Martin Baltscheit „Jasmin Behringer. Ich und die Kanzlerin“

Buchtipp von Ariane Bellgardt

Generation Praktikum. Was mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden ist, beginnt bereits während der Schulzeit. Kein Schulkind erreicht das Abitur, ohne die Schulbank für einige Wochen gegen die Redaktion einer Zeitung, die Regale einer Buchhandlung oder die Gehege eines Tierparks eingetauscht zu haben. Bei der Vielfalt der heute zur Verfügung stehenden Berufswege ist es wichtig, einige der persönlichen Berufswünsche, auch einmal praktisch ausprobiert zu haben.
Und warum klein anfangen, wenn man auch gleich ganz hoch hinaus kann? Das denkt sich die 14-jährige Jasmin Behringer und bewirbt sich prompt für ein einwöchiges Praktikum im Bundeskanzleramt. Mit Erfolg.
Schneller als gedacht steht sie vor dem imposanten Gebäude im Berliner Regierungsviertel. Und schwups ist sie drin –in der zentralen Schaltstelle der Bundesrepublik, die auch liebevoll Waschmaschine genannt wird.
Martin Baltscheit verleiht seiner jungen Heldin die authentische Stimme einer mutigen 14-Jährigen, die fünf Tage lang voller Neugier, aber auch einer guten Portion Selbstbewusstsein in den Arbeitsalltag der politischen Führung unseres Landes eintaucht. Und der ist nicht nur abwechslungsreich und anstrengend, sondern auch äußerst spannend. Bereits früh am Morgen müssen die wichtigsten Zeitungsmeldungen des Tages gesichtet und zu Pressemappen für die Kanzlerin und Co zusammengestellt werden. Hoher Staatsbesuch muss sowohl kulinarisch als auch politisch gründlich vorbereitet werden. Und natürlich stehen auch die wöchentlichen Kabinette mit allen Ministern sowie die Parlamentssitzungen mit den Abgeordneten an. Wenn dann auch noch der Arbeitsminister zurücktritt, müssen die Journalisten in Pressekonferenzen informiert und natürlich ein kompetenter Nachfolger gefunden werden.
Gar nicht so einfach, ein ganzes Land zu regieren, stellt Jasmin schnell fest. Da braucht man eine Menge helfende Hände. Und eigentlich ist jeder Mensch im Land wichtig und trägt seinen Teil dazu bei, dass Deutschland so ist wie es ist – nicht perfekt, aber auch nicht schlecht.
Durch den gelungenen Fingergriff, politische Kenntnisse hautnah und durch die Augen eines Teenagers zu vermitteln, gelingt es dem Autor, das von Schülern oft als trocken empfundene Thema Politik zugleich spannend und witzig, durch zusätzliche Informationen in Fußnoten aber auch informativ und lehrreich zu gestalten. Dabei trifft er den saloppen Tonfall eines jugendlichen Mädchens in unnachahmlicher Weise. Durch den teils unbedarften, neugierigen Blickwinkel einer 14-Jährigen erleben wir die Arbeit in Kanzleramt und Bundestag auf völlig neue, unterhaltsame Weise. Und so ermöglicht uns Baltscheit absolut gewinnbringend, ein Verständnis für die sonst so ferne Welt der Politik zu bekommen – hautnah und zum Anfassen.

Baltscheit, Martin: Jasmin Behringer. Ich und die Kanzlerin. Boje Verlag, Köln 2009. Ab 12 Jahren

Empfindungen und Erfahrungen in Sachen Liebe

Nava Semel „Liebe für Anfänger“ 

Buchtipp von Cathleen Hycnar 

Sieben Geschichten, aus verschiedenen Sichtweisen, an verschiedenen Orten und Zeiten, von Gefühlen, Empfindungen, Verletzung und Verlust. Es geht nicht nur um die Liebe zwischen Mann und Frau. Auch um die zu Eltern, Geschwistern und Freunden. Liebevoll und einfühlsam geschrieben, sodass man sich in die jeweilige Figur sehr gut einfühlen kann. Die Erzählungen zeigen unseren Kindern / jungen Heranwachsenden, dass Liebe vieles bedeuten kann und dass Kummer, Sorgen und auch Glück dicht beieinander liegen können und dass jeder, der die ersten Erfahrungen in Sachen Verlieben macht, genauso unsicher und auch verwirrt ist, wie er selbst. 

Semel, Nava: Liebe für Anfänger, Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2010. Ab 12 Jahren 

Nicht kleinzukriegen

Meg Rosoff „Davon frei zu sein“ 

Buchtipp von Cathleen Hycnar 

Diese Geschichte spielt Mitte des 19. Jahrhunderts im rauen, düsteren Südwesten von England. Es herrscht die größte Armut, die man sich vorstellen kann. Kinder, die ungewollt geboren werden, sind nur eine Belastung was dessen Ernährung angeht. Auch als junge Frauen sind sie nichts wert. Sie werden verheiratet, wie die Bauern es brauchen. Meist sind es Tauschgeschäfte gegen ein paar Lebensmittel. Frauen haben den niedrigsten Status den man sich denken kann. Sie werden zu schwerer Arbeit gezwungen und sind nur für die männliche Befriedigung gut. Rechte haben sie keine. So soll auch die Zukunft von Pell Ridley aussehen. Sie wuchs inmitten von 10 Geschwistern in Dreck und Armut auf. Ihr Vater ist ein gewalttätiger Säufer, der es nicht schafft seine Familie zu ernähren. Ihre Mutter hat schon lange keinen eigenen Willen mehr. Pell, wie auch die anderen Kinder der Familie, arbeitet hart für ein bisschen Brot und dünne Suppe. Ihr zukünftiger Ehemann steht bereits fest. Aber die Armut und die gesellschaftliche Ungerechtigkeit haben es nicht geschafft Pell`s Willen zu brechen. Sie wird sich nicht mit dem für sie vorgesehenen Schicksal abfinden, das steht für sie fest. Sie will ein besseres Leben und wenn es ihr das Eigene kostet. Schlimmer als jetzt kann es nicht mehr kommen. An dem Abend vor ihrer Hochzeit reißt sie aus. Ihr kleiner, etwas geistig minderbemittelter Bruder schmuggelt sich mit ein in die Flucht. Ein harter Weg beginnt. Aber wie sich am Ende rausstellt, war es der richtige. Natürlich ist die Flucht gepflastert mit vielen Hindernissen, Ungerechtigkeiten und Gewalt, aber auch mit in paar guten Begegnungen, die ihre Zukunft positiv beeinflussen. Die Autorin lässt den Leser in ihre Erzählungen hart eintauchen. Ohne Schnörkel und Umschweife umschreibt sie die kahle, graue Gegend und die Erbarmungslosigkeit auf die ihre Figur während der gesamten Handlung trifft. 

Meg Rosoff: Davon, frei zu sein, Fischer Fjb, 2010. Ab 14 Jahren

Kindsein in zehn Kapiteln

Nadia Budde „Such dir was aus, aber beeil dich“ 

…ziemlich anders, sehr besonders…nach jedem Kapitel ein tiefes Ein- und Ausatmen und kurzes Innehalten. Auf einmal ist sie wieder da: die eigene Kindheit, mit dem Bewusstsein, dass es oftmals nicht die großen Ereignisse sind, die uns geprägt haben, sondern die vielen kleinen Begebenheiten, wie das Sammeln von Plastikansteckblumen, der Geschmack von Schneeflocken auf dem Wollschal, Zwangsausschnauben in das elterliche Stofftaschentuch, Filzstifte anlecken, Läuse haben, im Faschingskostüm schlafen gehen...Vielleicht nicht gerade ein Buch für Kinder, aber ein Buch für das Kind in uns Erwachsenen. Nadia Budde beschönigt nichts. Zeitweise hat die totgefahrene Katze am Straßenrand, das Fressen von Popel und Schorf und der beschriebene Fall vom Kindsein in die Erwachsenwelt etwas Brutales, so dass man schnell weiterblättern möchte. Doch gehören nicht auch Abschied und Schmerz zum Kindsein, wie zu uns Erwachsenen die Träumereien und Faxen machen? Die zehn Kapitel können einen ganzen Cocktail von Gefühlen wecken. Derjenige, der dieses Buch sein eigen nennt, wird es vermutlich immer mal wieder aus dem Bücherregal nehmen und beim Blättern in seine eigene Vergangenheit abtauchen. Dieses Bilder-Lese-Buch ist ein Schatz. Eine Geschenkidee für sich selbst oder für jemanden, mit dem man zusammen in der Modder spielen und auf Nachtwanderung gehen würde. 

Ein fester Leineneinband und sogar ein Lesebändchen zieren die gesammelten Erinnerungen. 

Budde, Nadja: Such dir was aus, aber beeil dich, Peter Hammer Verlag, Frankfurt am Main 2009. Ab 12 Jahren